Die Gruppenausstellung Dance, Dance, Revolution im Kunsthaus Hamburg thematisiert Tanz als dynamische Form des Protests. Vor dem Hintergrund des anhaltenden russischen Angriffskrieges in der Ukraine verhandeln die teilnehmenden Künstler*innen Tanz, Rhythmus und Sound als emanzipatorischen Akt des kollektiven Widerstands. Dabei wird durch die Medien Fotografie, Installation, Video und Sound ein Bogen von traditionellen Volkstänzen bis zu zeitgenössischen Raves geschlagen.
Wir leben in westlichen Gesellschaften mehrheitlich in relativer Leidfreiheit und Sicherheit und damit im bizarren Kontrast zu den Menschen, die sich in Krisen- und Kriegsgebieten befinden. Die daraus resultierende Diskrepanz erzeugt bei vielen ein Empfinden von Ohnmacht, gleichzeitig suchen wir nach Eskapismus, um mit der Zerrissenheit zwischen diesen beiden Welten zurechtzukommen. Das moralische Verpflichtungsgefühl steht geradezu im starken Widerspruch zu ausgelassenen Festen, Partys und Feierlichkeiten und doch waren sie schon immer gesellschaftsbindend und befreiend. In Dance, Dance, Revolution steht die Ausdruckskraft der Bewegung für gelebte Gefühle, Zugehörigkeit und Zusammenhalt. Tanz lässt uns für einen Moment der Realität entkommen, Verbundenheit mit anderen spüren und stärkt im solidarischen Miteinander so auch eine bewusste Auseinandersetzung mit Ungerechtigkeit und Krieg.
Zu sehen sind Arbeiten von sieben internationalen Künstler*innen: Die filmische und fotografische Serie Maskirovka (2016-17) von Tobias Zielony befasst sich mit der queeren Underground- und Techno-Szene Kyjiws in der Nach-Maidan-Ära und verweist auf die gleichnamige russische Kriegstaktik der Täuschung und Desinformation. Clubszenen greifen auch Roman Khimei & Yarema Malashchuk in ihrer Videoinstallation Dedicated to the Youth of the World II & III (2019, 2023) auf. Dabei beziehen sie sich auf die international bekannten Cxema-Raves, die sie 2019 und 2023 dokumentierten. Mykola Ridnyi nutzt in seiner Videoarbeit The Battle over Mazepa (2023) den Rap als musikalisches Sprachrohr, um unterschiedliche Deutungen und widersprüchliche Überlieferungen russisch-ukrainischer Geschichte zu beleuchten. Auf einen Open Call hin, der 2022 nach der russichen Vollinvasion der Ukraine dazu aufrief, den Klang des Krieges zu veranschaulichen, erhielt das Óstov Collective über 100 Audioaufnahmen. Daraus stellten sie die Soundinstallation 3ЛАМ ('ZLAM) (2022) zusammen, die sowohl traditionelle Tanzmusik als auch die Geräusche des Krieges hörbar macht und als kollektive Erfahrung weit über die ukrainischen Grenzen hinaus resoniert. Anna Potyomkina stellt in ihrer persönlichen Videosammlung Dances at the Dead. Archive (seit 2023), die sie ihrem im Krieg gefallenen Freund Yura Stetsyk widmet, einen Bezug vom Wunsch nach exzessivem Feiern zu überlieferten Bräuchen her. Die raumgreifende, skulpturale Installation Revelation of Powers (2022) von Iza Tarasewicz ist eine Hommage an solidarischen Widerstand von Bauernaufständen und Volkstänzen und thematisiert gleichzeitig die Blockaden von Getreidelieferungen aus der Ukraine durch russische Invasoren.
Mit der Ausstellung setzt das Kunsthaus Hamburg seine Agenda fort, Vernetzung zu fördern – sowohl zwischen lokalen und internationalen Künstler*innen als auch Akteur*innen verschiedener Kultursparten innerhalb Hamburgs. So trifft die 2016 und 2017 in der Ukraine entstandenen Serie von Tobias Zielony, der seit dem Wintersemester 2022/23 an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg Professor für Künstlerische Fotografie ist, mit Arbeiten von Künstler*innen aus der Ukraine und dem postsowjetischen Raum zusammen. U.a. mit einem Workshop für Kinder lädt das Begleitprogramm zur Ausstellung die ukrainische Diaspora in Hamburg ein, im Kunsthaus zusammenzukommen, und knüpft damit an die Veranstaltungsreihe The Gathering Place an, die 2023 im Kunsthaus initiiert wurde. Darüber hinaus findet im Rahmen der Ausstellung eine Kooperation mit dem bekannten Hamburger Technoclub Fundbureau statt. Durch den Abriss der Sternbrücke war das Fundbureau von einem Umzug betroffen und hat nun in den Kasematten in der Nachbarschaft des Kunsthauses eine neue Location gefunden. In den Räumlichkeiten in der Altländer Straße werden im Oktober Videoarbeiten des Künstlerduos Roman Khimei & Yarema Malashchuk gezeigt. Die Kollaboration ist eine Willkommensgeste an den Club ebenso wie ein Brückenschlag zwischen den künstlerischen Disziplinen.
Für Interessierte bietet das Kunsthaus im Foyer eine Auswahl an Büchern zum Thema der Ausstellung an. Neben kultur- und sozialwissenschaftlichen Publikationen rund um Sound, Tanz und Krieg ist dort auch der kürzlich im Kanon Verlag in deutscher Übersetzung erschienene Roman Tanz, tanz, Revolution der niederländisch-ukrainischen Autorin Lisa Weeda erhältlich, auf den der Titel der Ausstellung Bezug nimmt.
Kuratiert von Anna Nowak
Kunsthaus Hamburg
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