Bisher haben wir uns beim Textmining auf unseren Textkorpus bezogen, allerdings erlauben die Instrumente auch ein schnelles Erfassen und Verarbeiten von Internet gestützten Quellen. Um dies, inklusive Datenbankanbindung, aufzubauen, wählten wir den Begriff/Künstlernamen Baselitz im Zeitraum zwischen dem 15.02. 16.23 Uhr und dem 24.02. 9.11 Uhr und erfassten auf Twitter 66 Tweets.
Warum Baselitz?
Vor sieben Jahren sahen wir die Notwendigkeit und die Möglichkeit, datenbankgestützt die globale öffentliche Präsenz von Künstler*innen aufzuzeichnen. Ein handhabbarer Modus lag in der Konzentration auf repräsentative Gruppeneinheiten: Sammlungen, Biennalen, Messen, Gruppenausstellungen, Stipendien etc..
Und schon im Vorfeld des 75. Geburtstages von Georg Baselitz war festzustellen, dass dieser Künstler, dessen Werk im Wesentlichen den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts zuzuordnen ist, von Monat zu Monat, wie von Geisterhand geführt, auf Platz eins an die Spitze unserer Künstler*innenliste zusteuerte.
Dies sind Momente, in denen man die hintergründige Steuerung des Kunstgeschehens erkennt, auch wenn die mit einer relativen Unschärfe zu betrachtenden Faktoren wie Einzelausstellungen in Museen oder Galerien, Auktionspreise und Artikel in Fachzeitschriften nicht berücksichtigt werden.
Ein möglicher strategischer kunstmarktrelevanter Faktor ist zum Beispiel die Platzierung von Leihgaben in Sammlungen. (Was auch von anderer Seite dokumentiert wurde.) Julia Voss in der FAZ, 2013 das-phaenomen-georg-baselitz-am-ende-der-schlachten
Inzwischen, zu seinem 80. Geburtstag, ist Baselitz auch in unserer Liste wieder 10 Plätze gefallen, wobei wir noch nicht die Sammlungen überarbeitet haben, aus denen er seine Werke mit großer Geste anlässlich einer neuen Gesetzeslage abgezogen hat.
In einer Untersuchung zu Biennalebeteiligungen von den renommiertesten Künstler*innen hatten wir erst kürzlich festgestellt, dass in unserer Datenbank 88 von 500 Namen nur auf eine einzige Biennalebeteiligung verweisen können. So auch Georg Baselitz.
Es ist schon auffällig, dass sich nur wenige Kurator*innen einer Biennale in den letzten Jahren für die Position des Malers und Bildhauers Baselitz engagiert haben.
Und hier kommen wir zum Netz, zu Twitter, den Tweets und den Bloggern, eingeladen von der Fondation Beyeler schwärmen sie mehrheitlich von der inspirierten chronologischen Hängung, sinnieren über die Hässlichkeit… .
Julia Voss schrieb schon 2013 in ihrem Artikel in der FAZ: “Und damit wäre das Phänomen Baselitz bereits umrissen, dessen Selbstbeschreibungen so brav nachgebetet werden, dass man sich nur wundern kann.”
Aber zu den Strukturen: von den 66 Baselitz-Tweets stammen 13 (alle Zahlen inklusive Retweets) von m1, wobei m1 ein weiteres Mal unter einem anderen Twitteraccount twittert, m2 twittert auch unter mehreren Accounts, 9x unter eigenem Namen und 4x unter einem anderem, k1 twittert 5x, soweit erkennbar nur unter einem Account.
Also gut die Hälfte der Tweets sind auf 3 Personen zurückzuführen, bei den restlichen Tweets werden gern Zitate von Baselitz zum Besten gegeben, wie z. B. 7x die Empfehlung “Sie müssen etwas bringen, was das Publikum wahnsinnig irritiert” oder es wird kritisch auf seine frauenfeindlichen Bemerkungen verwiesen bzw. kopfstehende Fotos mit “vielleicht was für Baselitz” kommentiert.
Soweit alles wie erwartet, die handelnden Figuren bekannt, doch dann noch etwas Interessantes, r9 retweetet fast alle Artikel von m1 und hat ein wirtschaftliches Interesse an Museumskontakten. Sehr interessant. Kannte ich noch nicht.
Die Realität im Netz wird konstruiert, ein Hauch von russischen Trollen. Aber es ist erkennbar.
Und, weil es so schön ist, noch ein Retweet: "Die Neugier ist geweckt! #Baselitz ..."
Geliefert wie bestellt.
weitere Informationen:
Textmining
Künstler*innendatenbank
Das Thema Baselitz ist ein emotional beladenes. Heftige, stark emotionalisierte Kritik, Verweise auf Buchrezensionen zu von uns zitierten Zeitungsartikeln, vielleicht auch Schwierigkeiten im Umgang mit digitalisierten statistischen Verfahren, all dies lässt uns weiter an dem Thema arbeiten (zur Analyse, nicht zur Provokation).
Drei Artikel zu Baselitz haben wir untersucht, haben die Adjektive(+Beifang) maschinell extrahiert und kamen so auf über 360 Wörter, alphabetisch sortiert und den Artikeln zugeordnet.
Im Folgenden beziehen wir uns bei der Auflistung, der Einfachheit halber zum Teil auf den Wortstamm der ausgewählten Begriffe.
Beispielhaft die Auswahl aus drei Artikeln zu Baselitz:
1x Appollinischen
13x deutsch...
5x eigentlich
6x erste...
3x Expressionis...
2x gefällig
1x griechische
2x grob
16x groß...
6x gut
15x hässlich
4x moralisch
7x schön
11x selbst
2x sogenannte...
2x spannend
3x stark
4x tief
3x überwiegend
5x umfangreich...
2x wahrscheinlich
1x zeitgenössischen
Die komplette Liste mit den Begriffen finden Sie auf medium.com.
In unserem Textkorpus zur zeitgenössischen Kunst fanden sich vier Sätze zur Hässlichkeit, unter anderem auch folgender Satz: Mit seinen Alltagsszenen, seinen Darstellungen von Handwerkern, Bauern und Arbeitern wird Liebermann in den Augen der konservativen Kritik zum Apostel der Häßlichkeit.
Weitere Sätze:
Sie findet die Balance zwischen einer eigenen Materialästhetik und der Hässlichkeit des Vorgefundenen
Wegen seiner Hässlichkeit verkörperte Resopal (Formica) - ein industriell gefertigtes Material zur Beschichtung von Möbeln und Fußböden - für ihn das Grauen der Epoche , und er verwendete es genau deswegen
In filmischen Inszenierungen wie in zentralen religiösen Bildern berühren sich in der Figur der Heiligen Schönheit, Hässlichkeit und Leiden auf widersprüchliche Weise
Nachtrag: Christian Saehrendt schrieb am 9.10.2018 in der NZZ: Wann kommt der Kunstbestatter und beseitigt die vielen trostlos in Depots liegenden Kunstwerke? Denn: Es könnte schwierig werden, kommenden Generationen den Wert von Werken etwa eines Cy Twombly, Thomas Hirschhorn oder Georg Baselitz nahezubringen.
Schenkungen sollten nur noch unter dem Vorbehalt des späteren Weiterverkaufs angenommen werden.
ct
Anmerkungen zum Textkorpus
Weitere Titel
Titel, Thema und Moderne im Spiegel der künstlichen Intelligenz